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Das Archiv zu den Menschen bringen

v.l.n.r.: ITS-Direktorin Floriane Hohenberg, Rikola-Gunnar Lüttgenau, stellvertretender Direktor der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora, Jens-Christian Wagner, Leiter der Stiftung Niedersächsische Gedenkstätten anlässlich der Überreichung der Daten

Jahrzehntelang wuchs das Archiv des ITS ohne klassische Archivordnung. Es war ein Arbeitsmittel, um nach Namen von NS-Opfern zu suchen, Verfolgungswege zu dokumentieren und um Spuren der Millionen von Ermordeten zu finden.

Für den ITS ist es immer noch eine Herausforderung, sein Archiv externen Nutzer*innen verständlich darzustellen und für Recherchen zugänglich zu machen. 2017 war die Vorbereitung der Onlinestellung des sogenannten Bestands 1.1 ein herausragendes Projekt. Mit 40 Teilbeständen aus fast sämtlichen Konzentrationslagern und Ghettos ist er ein Kernstück des ITS-Archivs. Es handelt sich um rund 10 Millionen Images, die dann online verfügbar sein werden.

Auf zwei Wegen kümmerten sich fünf Mitarbeiter*innen darum, den sehr heterogenen Bestand zu erschließen. Zum einen inhaltlich: Sie fügten Informationen hinzu, vor allem über die mehr als 100 verschiedenen Quellen, aus denen die Originale stammen. Dadurch können Nutzer*innen später zum Beispiel Angaben korrekt zitieren oder weitere Informationen einholen. Zum anderen bereitete das Team die Onlinestellung strukturell vor, ordnete Teilbestände, bildete Serien und schaffte Redundanzen ab.

Bei diesem Projekt kann der ITS durch eine Kooperation von den Erfahrungen der Gedenkstätte Yad Vashem profitieren. Sie stellte den technischen Support zur Verfügung und ihre für ähnliche Zwecke entwickelte Online-Plattform. Die Onlinestellung des Bestands 1.1 erfolgt voraussichtlich in der zweiten Jahreshälfte 2018. 

Um den Zugang zu dem Archivbestand zu erleichtern, ging der ITS 2017 einen weiteren Schritt: Er übergab den KZ-Gedenkstätten digitale Kopien von Dokumenten, die das jeweilige Konzentrationslager betreffen. Die Gedenkstätten können sie in die eigene Datenbank integrieren und dank der zugehörigen Metadaten für die Recherchen nach ehemals NS-Verfolgten nutzen. Vorwiegend handelt es sich um Dokumente zu Einzelschicksalen, etwa Häftlingspersonalkarten, aber auch zur Organisation der Lager. Damit kann der ITS zum einen helfen, Informationslücken zu schließen. Zum anderen über die großen Besucherzahlen der Gedenkstätten noch mehr Menschen dabei unterstützen, sich mit der NS-Geschichte und dem Leid der Verfolgten auseinanderzusetzen. Ein Vertrag mit den Gedenkstätten sichert Schutz- und Persönlichkeitsrechte sowie die Authentizität der Dokumente.

Auch in anderen Projekten arbeitete der ITS 2017 an einem erweiterten und erleichterten Zugang zu seinem Archiv – auf ganz unterschiedliche Weise:

  • Teile der Indizierung automatisieren

    Für den ITS hatte die Suche nach Namen und die entsprechende Indizierung der Bestände besondere Bedeutung. Das ist auch für viele Forscher*innen ein wichtiger Schlüssel. Doch darüber hinaus interessieren die heutigen Nutzer*innen auch andere Suchkriterien, um Informationen in den bedeutenden Dokumenten zu finden. Auch für die Mitarbeiter*innen der Auskunftserteilung ist eine verbesserte Indizierung hilfreich, denn Dokumente können so schneller recherchiert werden. Der ITS kann seinen Service dadurch verbessern und Wartezeiten verkürzen.

    Der ITS testet für eine schnellere Indizierung anhand mehrerer Bestände drei Anbieter automatischer Texterkennungssysteme. Gerade für sehr gemischte Bestände haben moderne Programme einen bedeutenden Pluspunkt: Sie erkennen nicht Buchstaben, sondern grafische Muster. Das heißt, sie können solche Bestände nach Dokumententypen sortieren und ermöglichen den Mitarbeiter*innen des Archivs, gezielt Briefe, Häftlingskarten oder Namenslisten zu finden und neue Bestände oder Sub-Serien zu bilden. Oder sogar alle Briefe von einem bestimmten Absender, da sie auch Briefköpfe unterscheiden können. Damit ergeben sich neue komfortable Filtermöglichkeiten zur Veröffentlichung von Beständen. In den Krankenakten von DPs zum Beispiel liegen Dokumente wie Röntgenbilder, die datenschutzrelevant und nicht von öffentlichem Interesse sind. Sie könnte der ITS geschlossen als Dokumentengruppe von der Veröffentlichung ausnehmen – bei einem Bestand von fast einer Million Dokumente eine fast unmögliche Aufgabe ohne derartige Software.

  • Mit dem e-Guide Dokumente erklären
    Haben früher fast ausschließlich ITS-Mitarbeiter*innen in den Dokumenten des Archivs recherchiert, so sind es heute verschiedene Nutzergruppen. Schüler*innen und Student*innen, aber auch Historiker*innen oder Angehörige von ehemaligen NS-Verfolgten haben mit einer Vielzahl unterschiedlicher Dokumente zu tun. Sie alle wollen verständlich und schnell erfahren, wer das Dokument erstellt hat, wozu es diente und was die Abkürzungen darauf bedeuten.

    Um das Wissen der ITS-Mitarbeiter*innen öffentlich zugänglich zu machen, wird ein e-Guide erarbeitet, der online über die Homepage des ITS verfügbar sein wird. Die für das Projekt zuständige Historikerin Christiane Weber hat die ITS-eigenen Informationen durch Recherchen in verschiedenen Institutionen und im Dialog mit externen Fachleuten ergänzt und so weit möglich vervollständigt.

    Im e-Guide werden die häufigsten der im ITS-Archiv verwahrten Dokumente, Karten und Fragebögen mit ihrem historischen Entstehungszeitraum erklärt. In der ersten Phase werden die Informationen über 30 Dokumententypen zu KZ-Häftlingen veröffentlicht. Später kommen die Beschreibungen der jeweils circa 35 häufigsten Dokumente zu Displaced Persons sowie zu Zwangsarbeiter*innen hinzu.

    Die Erläuterungen werden in einfacher Sprache und in einer zweiten Version auch auf Englisch sein. Eine Suchfunktion macht den Gebrauch komfortabel. Als interaktive Elemente auf dem Dokument können die Nutzer*innen weitere Informationen anklicken. Zitate von Überlebenden und zusätzliche Dokumente aus dem ITS-Archiv beleuchten den geschichtlichen Hintergrund. Die Fertigstellung ist stufenweise ab dem zweiten Quartal 2018 geplant und wird eine wichtige Ergänzung zur folgenden Onlinestellung des Bestands 1.1 sein. Nach und nach kann der e-Guide um Erklärungen zu weiteren Dokumenten wachsen.

  • Daten für digitale Projekte freigeben

    Um neue Informationswege zu eröffnen, engagierte sich der ITS auch 2017 im Bereich der digitalen Geisteswissenschaften. Bei dem Kultur-Hackathon in Berlin konnten die Teilnehmer*innen auf die Kartei der Reichsvereinigung der Juden samt Metadaten zugreifen. Rund 32.000 Karten erlauben Rückschlüsse über Berliner Juden zur NS-Zeit. Zwei der Hackathon-Teams aus App-Programmierer*innen, Webdesigner*innen und Expert*innen für Augmented Reality entwickelten daraus Projekte. Die sogenannten Schülerkarten waren Grundlage für das preisgekrönte Projekt „Marbles of Remembrance / Murmeln der Erinnerung“: ein Stadtrundgang mit Chatbot auf den Spuren jüdischer Schüler*innen in Berlin. Man kann die Namen von Stolpersteinen eingeben und die Karte dazu sehen. Oder sie sich automatisch per GPS anzeigen lassen, wenn man an einer ehemaligen jüdischen Schule vorbeigeht oder an einer Wohnung, in der vor den Deportationen eine jüdische Familie gelebt hat. Auf zwei Stadtrundgängen können die Nutzer*innen außerdem zwei jüdische Kinder kennenlernen, die sich und ihre Familie per Chat vorstellen und Fotos sowie andere Dokumente aus der ITS-Datenbank zeigen. Für das zweite Projekt, „Visualisierung jüdischen Lebens“, nutzte ein Programmierer hauptsächlich die Metadaten der Kartei. Auf einer Stadtkarte im Internet können sich Nutzer*innen anzeigen lassen, wo jüdische Familien in Berlin lebten. Auch statistische Auswertungen sind möglich, etwa zu den Berufen oder der Altersstruktur der jüdischen Bewohner.